Dienstag, 8. Dezember 2009

Ingenieure und ihre Planeten

Lieber Herr Assmann,

Darf ich zum Thema „ Wissenschaftstheorie der Ingenieurwissenschaften“ noch einen Ergänzungsblog absetzen. Teil-Thema : „Ingenieure und ihre Planeten“.

Wir führten schon aus, dass Ingenieure berufsmäßig in ihrem Sinnen und Trachten in der praktischen Modalität der Erreichbarkeit anzusiedeln sind. Ein Ingenieur wird definiert als ein auf das Erreichbare gerichteter Mensch, der sich auf Naturwissenschaften beruft, wobei er im Modellieren u.a. Mathematik und Logik einsetzt. Wegen der fehlenden Naturwissenschaften sind Informatiker keine Ingenieure. Sie gehören aber zur Familie, weshalb der Begriff Sprachingenieure eingeführt wurde (Ortner).



Ist Mathematik eine Sprache? Das ist ein längeres Thema. Paul Lorenzen in „Mathematik und Sprache“ sagt „teils teils“. Man spricht von einem Modalgefälle, um von einem Gebotenen (Δ!), über ein Erreichbares (Err) zu einem Möglichen (∇) zu gelangen. Theophrast’sche Gefälle nennt man das zu Ehren von Theophrast, einem Schüler des Aristoteles und späteren Leiter der Akademie. Es gibt aber nicht nur ein Gefälle, sondern ein ganzes Katarakt von Stromschnellen, in denen der Ingenieur steht, von denen unten nur die affirmativen (positiven) zu sehen sind. Die negativen sind weggelassen (und sind bei dem bereits zitierten Lorenzen zu finden). Neu ist der modallogische Schluss: Alles was notwendig ist (Δ), ist auch erreichbar (Err). Einen ganz wichtigen Schluss vermissen aber wir in der Abbildung. Den gibt es auch gar nicht, und kann deshalb nur in seiner verneinenden Form angeboten werden kann. Er lautet: Alles, was erreichbar ist (Err), ist noch lange nicht erlaubt (∇!). Der Übergang von Err nach ∇! existiert nicht.

Das ist ein ganz wichtiger Punkt für die Wissenschaftstheorie der Ingenieurwissenschaften. Wo kann der Ingenieur nachlesen, was erlaubt ist? Da gibt’s allgemeine Normen und Gesetze und eine darüber gestellte Ethik, da gibt‘s eine Ökologie, die sagt, das die Umwelt zu schonen ist, und da gibt’s eine Ökonomie, die sagt, was beim Einsatz von angemessenen Mitteln erreichbar ist. Wir nennen die drei Ethik, Ökologie und Ökonomie die Planeten oder Satelliten der Ingenieure, ohne die ein geordnetes Gesamt-System in unserem Kosmos nicht funktionieren kann. Wohlgemerkt: Die Physik und Chemie erreicht der Erreichbarkeits-Ingenieur direkt über den Schluss zur Möglichkeit hin (∇). Diese Wissenschaften haben ihm die als theoretische Modalität die theoretischen Grundlagen zu liefern, sie gehören zu ihm und sind keine Planeten. Ohne die geht überhaupt nichts. Er kann nichts oder nur wenig erreichen. Dem Informatiker geht’s mit der Sprache so (Linguistik im weiteren Sinne). Im Verständnis von Paul Lorenzen (siehe: Journal for General Philosophy of Science (1994) S.125-133) gehören die Ingenieurwissenschaften zu den Notwissenschaften, das sind „diejenigen Wissenschaften, die zur Sicherung des Friedens ohne Armut (bei angemessenem Wohlstand) nötig sind. Das ist nur ein Teil der faktisch betriebenen Wissenschaften.

Als Verteilungsmaxime für Forschungsmittel ergibt sich m.E. aus unserer kulturellen Tradition: für Notwissenschaften soviel wie nötig, alles Übrige den freien Wissenschaften“. Was sind nun freie, nicht-planetarische Wissenschaften, also die, die sich nicht einem angemessenen Wohlstand in Frieden als praktische Aufgabe gewählt haben? Eine schwierige Aufgabe? Keineswegs. Wir brauchen uns nur gemeinsam über den Fächerkatalog des Hochschulverbandes (erwähnt bei Mittelstraß) zu beugen und unter 4000 Fächer auszuwählen. Wir finden in dem Katalog u.a. brasilianische Sprachwissenschaften, Didaktik der Astronomie, Gerontophsychologie, Hymnologie (Gesangbuchforschung) etc., etc. Ich glaube, unter Kritischen wird eine Einigung schnell erzielt. Die Unterscheidung „Not“ oder „Frei“ ist schnell getroffen.

Nicht so schnell ist die Frage zu beantworten, wie man aus dem Modalgefälle in umgekehrter Richtung einen Bachelor/Master-Studiengang (BaMa) für eine Notwissenschaft „Ingenieurwissenschaft“ bei knappen Ressourcen entwickelt. Das kann eine schwierige, aber lösbare Frage für einen möglichen, nächten Blog sein. Da beim Bachelor schon Berufsfähigkeit (nicht Berufsfertigkeit!) vorliegen soll, muss dass Theophrast’sche Modalgefälle von unten nach (bottom-up oder konstruktiv, d.h. schrittweise, zirkelfrei und alles explizit machend) in zwei vertikale „Slices“ aufgeschlitzt werden: Slice 1 = Basics (Bachelor); Slice 2 = Advanced (Master).

Lieber Herr Assmann. Jetzt sind wir eigentlich erst richtig beim Unterthema Ihres Blogs: BaMa. Ich kann weiter machen. Aber was soll’s, wenn kein Interesse besteht?

Viele Grüße

Ihr H. Wedekind

PS: Man erkennt leicht. dass ich hier eigentlich nur Fußnoten zum großen Paul Lorenzen (1915-1994) bringe. Fragte man in meiner früheren Umgebung nach den größten Logikern aller Zeiten, bekam man spontan die Antwort: Aristoteles, Frege, Gödel und Tarski. Zusatzfrage: Gibt‘s nicht mehr? Spontanantwort: Paul Lorenzen. Frage : Warum? Antwort: Der hat die dialogische Logik erfunden, die nicht nur klassisch, sondern auch konstruktiv aufgezogen werden kann. Frage: Und wo bleiben Leibniz und Boole? Antwort: Schauen Sie, das sind ganz große Leute, aber die haben in Sachen Logik im Vergleich zu den großen Fünfen nichts Vergleichbares abgeliefert. Ende des Dialogs, den man beliebig weiterführe.

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