Mittwoch, 2. Dezember 2009

Deskription und Präskription in der Wissenschaftstheorie

Lieber Herr Assmann,


Ich möchte die Frage beantworten „Was sind präskriptive Modelle ?, um dann auch auf die Zusatzfrage einzugehen: „Wie kommt man zu einer Wissenschaftstheorie der Ingenieurwissenschaften?

Die Termini „deskriptiv (beschreibend) / präskriptiv (vorschreibend)“ treten in der Regel als Paar auf (siehe z.B. Mittelstraß „ Enzyklopädie, Philosophie und Wissenschaftstheorie“). Modelle der Informatik sind Beschreibungen (siehe z.B. Wedekind e. a., Informatik- Spektrum 21 (1998)), also Sprachkonstrukte und keine physichen Gegenstände ( z.B. Modell-Eisenbahnen oder „ engineering mock-ups“). Der Ausdruck „ Deskriptive Modelle“ hat demnach pleonastische Züge und wird deshalb vermieden. Der Terminus „Präskriptive Modelle“, also „vorschreibende Modelle“ ist hingegen gerechtfertigt, was zu erläutern ist.

Eine Beschreibung (Deskription) geschieht mit Aussagen (A) (propositions) und ist konstativ (feststellend). Ein Vorschreiben (Präskription) geschieht mit Hilfe von Aufforderungen (requests) an jemanden und ist appellativ. Im Ingenieurbereich sind Aufforderungen durchweg final, d.h. auf einen bestimmten zu erzielenden Zweck gerichtet. Wenn „A“ eine Beschreibung (Modell) eines Sachverhaltes ist , dann soll „ ! A“ besagen, dass jemand (noch im Kontext zu spezifizieren) aufgefordert wird, den Sachverhalt A zu erreichen (final). Das Ausrufezeichen „!“ wird Appellator genannt. A in „! A“ beschreibt also ein Ziel (Zweck), das noch gar nicht erreicht ist „A“ schlicht ohne Appellator sagt über „schon erreicht“ oder „ noch nicht erreicht“ gar nichts aus (unspezifiziert).

Aus dieser (wissenschaftstheoretischen) Sicht, man beachte die diversen wissenschaftstheoretischen Fachausdrücke (Termini) im obigen Absatz) , ist eine Präskriptives Modell (! A) nur eine Verwendung eines schon vorher spezifizierten Modells (A). Wer „A“ entwickelt , braucht „nur“ jemanden, der „! A“ „implementiert“ (wie man so sagt). Das „nur“ ist die berühmte Hybris der „Alles-Besser -Wisser“ und nicht ganz ernst zu nehmen. „Aufforderung“ wird in der Programmierung zu „Anweisung“ (Instruktion, Befehl) umbenannt. Für „ i= 5“ müsste es heißen „!( i= 5)“ mit der hoffnungsvollen Deutung: „ Bitte, liebes System (als Appellempfänger), lass dich auffordern, dass die als Typ schon beschriebene Variabel „i“ den Wert „5“ zugewiesen bekommt“.

Jedes in einer „imperativen Sprache“ verfasstes Programm ist im Kern ein Präskriptives Ablaufmodell. Die Umgebung zum Kern ist meist deklarativ (deskriptiv), also konstatierend und nicht appellierend. Es heißt “Ingenieure wollen Ziele (Zwecke), deskriptiv durch A wiedergegeben, erreichen“ , in dem sie für ! A auch die Mittel zum Zweck (A) vorschreiben. Nicht nur das Auffordern (!) einem Empfänger gegenüber, sondern das mit bereit zu stellenden Mitteln Erreichbare („attainability“), abgekürzt Err A, steht zur Debatte. Ein leichtes Dahinsagen „! A“, das können viele (Politiker, abgehobene Manager, Journalisten etc.). Aber das Err A zu spezifizieren und zu behaupten, das kann noch längst nicht jeder. Wer glaubt den Ausdruck Err A behaupten zu können, für den gilt der lateinische, pragmatische Spruch „Hic Rhodos, hic salta“, (Hier ist Rhodos, hier springe). Und siehe: Der Saal, mit Schein - Behauptern gefüllt, leert sich rapide.

Mit dem Ausdruck Err A sind wir mitten drin in dem, was man Modallogik, genauer Praktische Modallogik nennt, die von Paul Lorenzen schon vor Jahren entwickelt wurde. Siehe:
  • Paul Lorenzen “Praktische und theoretische Modalitäten“(1979), 
  • auch in: Paul Lorenzen „Grundbegriffe technischer und politischer Kultur", Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft,1985, 
  • siehe aber auch Paul Lorenzen „Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie“, Metzler Reprint, 2000, S.123 ff. 
  • Verwiesen sei aber auch auf: H. Wedekind „ Gibt es eine Ethik der Informatik“. Informatik Spektrum 10, 1987. 
Was ist die Quintessenz dieser angedeuteten Praktischen Modallogik? Sie soll als Grundlage einer möglichen Wissenschaftstheorie der Ingenieurwissenschaften in einem nächsten Blog hinterfragt werden. Das Err A, mit Err als praktische, modallogische Operation, wird in Bezug auf die theoretischen Modalitäten u.a. Δ! A (es ist geboten, dass A) und ∇ A (es ist möglich, dass A) „eingegabelt“. Es gelten ja immerhin die modallogischen Schlüsse: (1) Wenn A theoretisch geboten ist (Δ! A), dann (→) muss A auch erreichbar sein (Err A). (2) Und wenn A erreichbar ist (Err A), dann(→) muss A auch möglich sein (ΔA) (1) Ist eine Mahnung an Präskripteure, wer immer das sein mag. (2) Ist eine Mahnung an Entwerfer, ihre Möglichkeiten nicht aus dem Auge zu lassen

Bis demnächst Ihr H. Wedekind

PS.  Ob das BAMa-Ingenieure wissen sollten ?

2 Kommentare:

  1. Lieber Herr Wedekind,

    ich finde den Zusammenhang zwischen Appellation und Präskription spannend. Ihrer Erklärung von "Programmen" als appellative Modelle stimme ich zu, aber die Frage ist, ob man nicht doch beides trennen sollte. Appellationen richten sich an Entitites (Nominatoren), aber ein Programm ist kein solches Entity im natürlichen Sinne. Vielleicht ist es besser, Präskription als Unterkategorie von Appellation zu sehen. Aber ich muss natürlich erst mal Lorenzen lesen, von dem hab ich noch nicht alles.

    Gruss
    UA

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  2. Lieber Herr Assmann,
    Ich schreib schon einen Kommentar. Aber erst muss ich mit diesem grauenhaften "Ding" hier" umgehen lernen.
    Ihr
    H.Wedekind

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